Im April besuchte die 5A-Klasse unserer Schule unter Begleitung von Frau Professor Streit und Herrn Professor Benedikt die nahezu drei Stunden dauernde Vorstellung „Vor dem Ruhestand“ im Stadttheater Klagenfurt. Das im Jahr 1979 erstmals veröffentlichte Stück von Thomas Bernhard setzt sich intensiv mit dem Nationalsozialismus nach 1945 auseinander und ist in drei Akte gegliedert.
Zu Beginn der Aufführung sieht man Clara, die aufgrund einer Verletzung, hervorgerufen durch einen Bombenabwurf der Amerikaner gegen Ende des zweiten Weltkrieges, im Rollstuhl sitzt, und ihre nationalsozialistisch geprägte Schwester Vera in einem völlig verwüsteten Wohnzimmer. Andauernd kommt es zu Konflikten, was nicht verwunderlich ist, da Clara eine begeisterte Sozialistin ist und bei jeder Gelegenheit zu „reaktionären“ Büchern und Zeitungen greift, die wiederum Vera zum Zorn reizen.
In den beiden folgenden Akten kommt deren Bruder dazu: Rudolf Höller, ein Nazi und ehemaliger stellvertretender Leiter eines KZ‘, der, kurz vor seinem Ruhestand stehend, oberster Gerichtsvorstand wird. Beim späteren Abendessen feiert er den Geburtstag von Himmler in SS-Uniform. Anschließend schaut er sich mit Vera ein Fotoalbum, das seine braune Vergangenheit aufzeigt, an. Dann kommt es zum Finale des Theaterstücks: Rudolf bekommt einen Herzinfarkt. Schnell spielt Vera erst einmal die Schicksalssymphonie ab, bevor sie sich der unglaublich komplizierten Lage widmet: Der nächste Arzt ist Jude. So muss sie Rudolf zuerst zeitraubend von seiner SS-Uniform befreien, bevor sie um Hilfe telefonieren kann…
Ich finde, dass es dieser Aufführung auf brillante Weise gelingt, das Paradoxon eines Nationalsozialisten aufzudecken, der Himmlers Geburtstag feiert und eine Vergangenheit als stellvertretender Leiter in einem KZ hat, den jedoch, auch wenn er sich anderes vormacht, Schuldgefühle plagen. So meint Rudolf in einem schwachen Moment, dass er sich möglicherweise nicht auf den Ruhestand freuen kann, weil er Angst davor hat, sich zu erinnern. Ebenfalls interessant finde ich die bewusst sehr sarkastisch gewählte Namensgebung von Bernhard: Rudolf mit Nachnamen Höller feiert den Geburtstag von Himmler…
Mir persönlich hat das Stück gut gefallen, auch wenn gerade der erste Akt sehr langatmig ist und es seine Zeit braucht, um endlich auf den Punkt bringen zu können, was Bernhardt vermitteln möchte. Ich glaube, dass es wichtig ist, die Aufführung in der Zeit zu sehen, in der sie verfasst wurde: Mehrmals kamen in den 70ern Gerüchte über eine nationalsozialistische Vergangenheit von teils hochrangigen Politikern auf, wie beispielsweise Waldheim. Dieser kommt auch kurz im Stück vor, ohne dabei namentlich genannt zu werden.
Ich halte „Vor dem Ruhestand“ für ein empfehlenswertes Theaterstück, das eine große, nachdenkenswerte Tiefe aufweist.
Benjamin Kattnig